Freiwilliger MAN-Rückruf Aufruf zur Kontrolle

Foto: Steffen Buck / Freiwillige Feuerwehr Bad Urach
Meinung

Pro-aktive Feldmaßnahmen für MAN mit Euro-6c-Motoren zur Vermeidung von Motorschäden und Motorbränden: Mit einem Kundenanschreiben fordert MAN nun noch einmal zum Werkstattcheck auf. Nach nunmehr europaweit 170 Lkw-Bränden.

Ein ganzes Wochenende lang hatten die Administratoren der Facebookgruppe "Lkw-Unfälle und Kontrollen" die national und teilweise international zugänglichen Onlinemeldungen der Medien, der Polizei und der Feuerwehren durchforstet, und noch einmal nach Meldungen zu brennenden Lkw gesucht. Denn nach dem vorerst letzten Brand eines MAN TGX 18.500 am 28. Mai auf der B 28 bei Bad Urach brach die bisherige Serie unvermittelt ab, und ich hatte für einen Moment die Hoffnung, dass die pro-aktiven Maßnahmen, die MAN ausführlich in meinem Blogbeitrag "Hochgradig gefährdet" vom 15. Mai beschrieben hatte, tatsächlich greifen würden. Schließlich gab es Mitte Juni wieder eine kleine Serie von fünf Bränden hintereinander, darunter zum zweiten Mal ein TGS vor einem mit Benzin beladenen Tankzug auf der A 17 bei Dresden, bei dem die Feuerwehr eine Katastrophe verhindern konnte.

In ihren "MAN-Chroniken" kamen die besorgten Lkw-Fahrer schließlich auf 112 Fälle in den Jahren 2023 bis Juni 2024, bei denen die Polizei rein von einem technischen Defekt am Lkw ausging, dazu noch mehr als ein Dutzend Brände im Jahr 2022. Mit diesen Zahlen und weiteren konkreten Fragen hatte ich zwecks einer weiteren geplanten Veröffentlichung erneut die Pressestelle von MAN kontaktiert. Und bekam als Antwort das Muster eines Kundenanschreibens, mit dem MAN nun "pro-aktive Feldmaßnahmen bei MAN Trucks mit Euro 6c Motor zur Vermeidung von Motorschäden und Motorbränden" einleiten wird.

170 Brände in der Grundgesamtheit

Von MAN heißt es nun: "Der Nutzfahrzeughersteller MAN Truck & Bus hat Kunden bestimmter Lkw und Busse mit Euro-6c-Motoren der Typen D2676LF51-53 erneut dazu aufgerufen, ihr Fahrzeug bei einer MAN-Fachwerkstatt überprüfen zu lassen. Motorvarianten der späteren Abgasnormen Euro 6d und Euro 6e sind von dieser Maßnahme nicht betroffen." Es sind also die Fahrzeuge der Baureihe TGX und TGS, die mithin als 18.420, 18.460 und 18.500 besser bekannt sind. Davon sind, bei insgesamt 880.000 MAN-Fahrzeugen, die derzeit in Europa unterwegs sind, rund 120.000 Lkw der Baujahre 2016 bis 2019 mit den genannten Motortypen ausgestattet. Als Hersteller ist MAN über sein eigenes Netzwerk natürlich viel näher dran an den tatsächlichen Zahlen. Und gibt sie tatsächlich nun erstmals offiziell bekannt. Mit einer interessanten Formulierung: "In der Grundgesamtheit kam es seit Markteinführung der genannten Motoren nach Erkenntnis von MAN zu 170 Brandfällen, die – neben anderen möglichen Ursachen – auf das genannte Motorschadensmuster zurückzuführen sein könnten. Im Jahr 2024 traten 18 Fälle auf, deren Ursache höchstwahrscheinlich im beschriebenen Schadensmuster liegt."

Nur auf den ersten Blick nicht dramatisch

Das klingt nur auf den ersten Blick nicht dramatisch und liegt, so sagte es ein MAN-Sprecher, nicht in dem Bereich, in dem das Kraftfahrtbundesamt (KBA) einen offiziellen Rückruf einleiten würde. Daher nun, wie MAN sagt, nicht zum ersten Mal die erneute freiwillige Aufforderung zur "Schadensprävention und Robustheitssteigerung". Doch die allermeisten Fälle sind, da die Schadensmuster des sukzessiven Abriebs der bleifreien Lagerschalen erst ab rund 400.000 Kilometern Laufleistung und mehr auftreten, eben auch erst in den Jahren 2023 und 2024 aufgetreten. Bei den rund 40 veröffentlichten Fällen aus 2024 hieße das, dass im Prinzip nahezu jeder zweite Brand eines MAN dieser Baureihe auf das bekannte Problem zurückzuführen ist. Leider, auch das musste ich im Laufe meiner permanenten Recherche immer wieder feststellen, sind nur die wenigsten von einem Brand betroffenen Unternehmen bereit, die Ursache zu benennen oder beenden nach einem Vergleich mit MAN die Kommunikation.

Im Einzelfall wiederum beruft sich MAN auf den Datenschutz. Dazu gehört in 2024 auch der Motorbrand der Spedition Lackner. Auch bei seinem MAN 18.500 lag die Pleuelstange in vielen Teilen auf der Straße. Hier geht es um einen hohen Umweltschaden. Derzeit kann er zwar auf ein Vorführfahrzeug von MAN zurückgreifen. Seine Versicherung will den Motor nun bei MAN in Nürnberg durch Experten begutachten lassen, denn auch Lackner hatte nachweislich die Wartungsintervalle eingehalten. Nach unserem letzten Gespräch ist der Termin jetzt auf Mitte Juli verschoben worden.

Das tatsächliche Ausmaß "kleingerechnet"

Foto: Peter Gees
Die Lagerschale des Pleuellagers am Hauptzylinder 4 eines MAN TGX aus dem Jahr 2019 nach knapp 400.000 Kilometer Laufleistung. Hier kam es "nur" zum Bruch der Kurbelwelle.

Man kann es auch so formulieren: MAN hat das tatsächliche Ausmaß des Problems, das bei den genannten Fahrzeugtypen der Baujahre 11/2016 bis 08/2019, die aufgrund neuer regulatorischer Vorgaben mit bleifreien Lagern ausgerüstet wurden, bislang aus meiner Sicht kleingerechnet und rettet sich zum wiederholten Male in die Formulierung: "Es kann in sehr seltenen Fällen zu Motorschäden und, unter ungünstigen Umständen, zu nachfolgenden -bränden kommen. Schadensfälle können insbesondere dort auftreten, wo es zu einer übermäßigen Alterung und Verschmutzung des Motoröls und dadurch zu geschädigten Ölfilterbauteilen kommt – etwa durch Nicht-Einhaltung von Wartungsintervallen bzw. nicht fachgerecht ausgeführten Wartungsarbeiten."

In dieser Auflistung nicht enthalten sind die vielen Fälle von reinen Motorschäden, die auf Grund desselben Musters des Lagerschadens am Zylinder Vier "nur" zu einem Bruch der Kurbelwelle führten, wie es mir auch der Unternehmer Peter Gees aus Salzkotten beschrieb und per Foto dokumentierte. Bei einem MAN TGX aus 2019 aus seiner Flotte ging im April 2024 bei rund 390.000 Kilometern nach der Fehlermeldung "kein Öldruck" einfach der Motor aus. Auch hier wurden laut Gees alle Wartungstermine bei MAN eingehalten. Auch er beschreibt, wie viele andere Speditionen, einen zuvor extrem hohen Ölverlust. "Binnen zwölf Monaten mussten wir fast 30 Liter Öl nachfüllen, ein Problem mit den Kolbenringen, das MAN kennt und auf Nachfrage auch bestätigt." Immerhin: Bei so viel frischem Öl kann dann zumindest die Schmutzgefahr im Motoröl selbst ausgeschlossen werden.

Der Brand bei Bad Urach – ein ganz besonderer Fall

Foto: Jan Bergrath
Viele MAN TGX mit den betroffenen D26-Motoren aus den Jahren 2017 bis 2019 stehen derzeit bundesweit bei MAN - hier in Frechen - als TopUsed-Fahrzeuge zum Verkauf.

Völlig ungeklärt ist auch noch der Brand bei Bad Urach, der einen jungen Subunternehmer der Spedition Große Vehne aus dem Raum Reutlingen kurz um seine Existenz fürchten ließ. Mir liegen mittlerweile alle Verträge und Gutachten vor, doch der junge Mann möchte lieber nicht genannt werden. Ich nenne ihn daher Achim Anders. Er war im Auftrag von Große Vehne mit dessen Auflieger auf dem Rückweg von Ulm nach Reutlingen, als auch er diesen mittlerweile typischen Knall aus dem Motorraum hörte und der MAN 18.500 kurz danach in Flammen aufging. Auch hier lagen nach seiner Aussage Teile der Pleuelstange auf der Straße. Besonders pikant: Im Februar hatte Anders den MAN für 32.000 Euro netto als TopUsed Fahrzeug bei MAN in Kirchheim im Mietkauf gebraucht gekauft und erst mit der Gewinnung eines neuen Auftrags neben seinen beiden Actros zwei Wochen vorher zugelassen. Der zwischenzeitlich von der Versicherung beauftragte Gutachter, ein ausgewiesener Spezialist für Reisemobile und Freizeitfahrzeuge, hat ein paar Fotos gemacht, einen Motorschaden als Ursache festgestellt und den Wiederverkaufswert auf 6500 Euro und den Restwert auf 420 Euro festgesetzt. Da der Lkw beim Mietkauf noch im Besitz der Bank war, hat diese ihn bereits nach Kiel verkauft.

Mögliche Brandursache: ein Motorplatzer

Mit Anders Einwilligung hat mir der Sprecher der Versicherung nun mitgeteilt: "In dem von Ihnen genannten Fall haben wir einen Brandsachverständigen mit der Ermittlung der Brandursache beauftragt. Das Ergebnis: Die Brandursache war ein geplatzter Motor. Aus dem defekten Motor konnte Öl austreten, das sich wiederum entzündet hat. Der Sachverständige hat festgestellt, dass bereits vor dem Brand ein kapitaler Motorschaden am Fahrzeug vorgelegen hat. Dies führt dazu, dass sich der Wiederbeschaffungswert für den Lkw in dem von Ihnen aufgeführten Umfang vermindert hat. Das vollständige Gutachten des Brandsachverständigen liegt uns noch nicht vor."

Aus Datenschutzgründen will MAN auch hier nicht sagen, wie es dazu kommen konnte. Anders sagte mir, man habe ihm beim Kauf versichert, dass der Vorbesitzer des MAN alle fälligen Servicemaßnahmen im Wartungsvertrag bei MAN durchführen ließ. Warum es dennoch zwei Wochen nach Einsatz zum Motorplatzer kam, bleibt vorerst ebenfalls ungeklärt. Über die im Mietkauf vereinbarte MAN Premium GAP Versicherung wird er, in welcher Form auch immer, wohl nicht ganz auf dem Schaden sitzenbleiben. Ungeklärt bleibt das finanzielle Schicksal des Aufliegers: Denn eine von Anders abgeschlossene zusätzliche Versicherung beim Ziehen von fremden Trailern hätte erst zum 1. Juni gegriffen. Doch, frei nach Eduard Zimmermann, am 28. Mai konnte Anders wohl nicht ahnen, dass sein frisch gewarteter Top Used Truck knapp zwei Wochen nach dem Ersteinsatz in Flammen aufgehen würde.

Alles begann mit Einzelfällen

Weiter heißt es nun: "MAN hat seit Ende 2022 die betroffenen Halter der Fahrzeuge bereits mehrfach informiert und aufgefordert, entsprechende Werkstatt-Maßnahmen zur Schadensprävention und Robustheitssteigerung zu ergreifen. Im Nachgang an die Information an die Kunden wurden bislang insgesamt über 60.000 Maßnahmen in den Werkstätten durchgeführt. Dies entspricht in etwa 50 Prozent der betroffenen Fahrzeuge. Für die sich im Feld befindlichen weiteren Fahrzeuge wurden Werkstätten hinsichtlich der Relevanz der Ölqualität sensibilisiert und gezielt instruiert."

Nun bleibt abzuwarten, ob die zum wiederholten Male angeschriebenen Kunden, von denen einige bislang noch nie eine Information erhalten hatten, dieser Aufforderung auch Folge leisten. Besonders im europäischen Ausland. Mittlerweile, so ist es auf der Facebookseite von "Lkw-Unfälle und Kontrollen" akribisch dokumentiert, sind in den letzten Wochen auch Fahrzeuge von DAF, Daimler und Scania unterwegs in Vollbrand geraten. Die Bilder gleichen sich erschreckend. Meine Anfrage an die drei Pressestellen, ob und wann hier in welchen Motoren ebenfalls bleifreie Lager und Lagerschalen verbaut wurden, konnten diese bis zur Veröffentlichung des Blogs nicht beantworten. Wir reichen sie nächste Woche nach. Denn auch bei MAN begann alles mit Einzelfällen.

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