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Siemens nimmt Stellung Märchen und Mythen zur Oberleitung

Foto: Hessen Mobil

Der Oberleitungs-Lkw polarisiert. Die Redaktion hat Kritik und Klischees aus facebook und LinkedIn zusammengetragen und daraus Fragen formuliert. Siemens Mobility reagiert darauf wie folgt.

Warum die Straße elektrifizieren, wo es dieses System seit mehr als 100 Jahren gibt? Es nennt sich auch Eisenbahn! Geht es um den Oberleitungs-Lkw, begegnet man Kommentaren wie diesem immer wieder. eurotransport.de hat die Verantwortlichen bei Siemens Mobility, Wegbereiter der Oberleitungs-Lkw und Technologiepartner hinter den Feldversuchen in Deutschland, mit den gängigen Klischees und den häufigsten Kritikpunkten konfrontiert. Hier ihre Antworten darauf.

Ergibt der Einsatz eines Oberleitungs-Lkw auch (betriebs-) wirtschaftlich Sinn? Gibt es Zahlen, was die Wirtschaftlichkeit angeht?

Ja, eine Vielzahl von Studien belegen das – zum Beispiel durch den BDI, die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, das Öko- oder das Ifeu-Institut. Betriebswirtschaftlich: 16.000 Euro Kraftstoffersparnis jährlich bei 100.000 km unter der Oberleitung.

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Volkswirtschaftlich: Die Kosten pro vermiedene Tonne CO2 liegen bei ca. 450 Euro. Im Vergleich mit den bekannten Alternativen ist der Oberleitungs-Lkw somit am günstigsten. Die Kosten für Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw liegen bei ungefähr dem Dreifachen.

Sofern sie Biomethan tanken, fahren CNG-/LNG-Lkw auch schon klimaneutral. Warum bleibt das häufig unerwähnt?

Das ist richtig. Bio-Kraftstoffe (besonders die aus Abfällen) können einen sinnvollen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Kritisch ist hier nur die Verfügbarkeit in ausreichendem Umfang.

Wenn die Oberleitung der große Wurf wäre, hätte sich der Oberleitungs-Bus doch längst durchgesetzt, hat er aber nicht. Warum?

Die Oberleitung hat sich in unterschiedlichsten Bereichen über viele Jahrzehnte bewährt (in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht). Die Oberleitung ist vor allem dort sinnvoll, wo ein genügend großes Verkehrsaufkommen den Aufbau rechtfertigt. Das ist auf den Hauptmagistralen der Autobahnen gegeben, während bei Oberleitungsbussen dies nicht immer der Fall ist. Die operativen Abläufe von Bussen in Städten erlauben zudem auch zunehmend den Einsatz von batterieelektrischen Fahrzeugen, was bei Lkw mit hohen Tagesfahrleistungen nicht möglich ist.

Es gibt bereits elektrifizierte Güterstrecken – die Eisenbahn. Den Lkw zu elektrifizieren, ist eine Verschwendung von Steuergeldern. Sehen Sie das wirklich anders?

Für das System ist zum Beispiel eine Finanzierung über die Maut möglich, da das Oberleitungssystem ein integraler Bestandteil der Straßeninfrastruktur sein wird. Allgemein muss man festhalten, dass das Oberleitungssystem sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich die geringsten Kosten hat. Generell ist es wichtig, dass die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene weiter vorangetrieben wird. Da dies auch im Hinblick auf die erwartete deutliche Steigerung des Güterverkehrsaufkommens nie vollständig möglich sein wird, brauchen wir für den schweren Straßengüterverkehr in Ergänzung dazu klimafreundliche Lösungen.

Es gibt ein großes Verlagerungspotenzial auf die Schiene. Es gilt, die Schiene zu digitalisieren, um diese Potenziale zu haben. Warum setzt sich Siemens nicht hierfür ein – wo der Konzern doch reichlich Schienen-Know-how hat?

Im Rahmen des „Zukunftsbündnis Schiene“ und des Projektes „Digitale Schiene Deutschland“ arbeitet die gesamte Bahnbranche mit Hochdruck an diesem Thema, was auch durch entsprechend erhöhte Haushaltsmittel unterstützt wird.

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Hierzu gilt auch die Antwort aus der vorherigen Frage: Generell ist es wichtig, dass die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene weiter vorangetrieben wird. Da dies auch im Hinblick auf die erwartete deutliche Steigerung des Güterverkehrsaufkommens nie vollständig möglich sein wird, brauchen wir für den schweren Straßengüterverkehr in Ergänzung dazu klimafreundliche Lösungen.

Zehn Prozent an Spritkosten lassen sich problemlos auch mit moderner Telematik und Tourenplanung einsparen. Wäre das nicht der bessere Hebel?

Bei diesen angeblichen zehn Prozent handelt es sich um ein Missverständnis. Diese Prozentzahl basiert darauf, dass die elektrifizierte Strecke in Hessen ca. zehn Prozent der gesamten Route des Lkw ausmacht. Bei einem höheren Anteil der Elektrifizierung wird selbstverständlich auch ein höherer Anteil der Spritkosten eingespart.

Im Winter ist der Oberleitungs-Lkw keine Alternative. Die Straßen sind vereist, die Oberleitung macht Probleme. Wie können Sie das ausschließen?

Der Nachweis der Wintertauglichkeit wurde in unserem Testbetrieb in Schweden erfolgreich erbracht.

Sind die Oberleitungen vereist, kommt es zu Lichtblitzen. Fahrer werden geblendet. Birgt das nicht ein großes Gefahrenrisiko?

Im Gegensatz zur Bahn ist die Vereisung der Oberleitung aufgrund des wesentlich höheren Fahrzeugaufkommens unwahrscheinlich. Dennoch wurde aber ein Enteisungssystem entwickelt, das bei Bedarf genutzt werden kann.

Es gibt zwar Feldversuche in Deutschland, doch so gut wie keine Fahrzeuge sind darauf unterwegs. Woran liegt’s und lassen sich so überhaupt Erkenntnisse gewinnen?

Die Feldversuche in Deutschland sind auf Erkenntnisgewinn ausgelegt. Dafür sind die derzeit zur Verfügung stehenden und geplanten Fahrzeuge ausreichend. Für die in der nächsten Phase geplanten kommerziellen Strecken wird eine deutlich höhere Anzahl an Fahrzeugen zur Verfügung stehen müssen.

Kommt es zu einem Unfall unter der Oberleitung, kann kein Rettungshubschrauber landen. Kann man wirklich auf schnelle Rettung aus der Luft verzichten?

Luftrettungskonzepte werden im Rahmen der Feldversuche erstellt. Für die Rettungskräfte gibt es entsprechende Schulungen und Notabschaltvorrichtungen. Die bestehenden Rettungskonzepte haben sich im Rahmen der Unfälle, zu denen es bisher auf den Feldversuchsstrecken gekommen ist, bewährt.

Sobald es Bauarbeiten an den Strecken der Feldversuche gibt, staut sich der Verkehr. Lassen sich diese Eingriffe nicht vermeiden oder reduzieren?

Ein Großteil der Arbeiten kann vom Standstreifen ausgeführt werden. Eingriffe in den Fahrbahnbelag gibt es nicht. Dadurch ist sichergestellt, dass der Aufbau der Anlagen mit minimaler Beeinträchtigung des fließenden Verkehrs durchgeführt werden kann. Dies konnte bereits in den Feldversuchen erfolgreich demonstriert werden.

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