Tatra Phoenix Härtetest beim Brennertunnelbau

Tatra Phönix, Brennerbasistunnel, Koren Erdbau, FERNFAHRER 2/2020. Foto: Thomas Kueppers 14 Bilder

Zwischen Innsbruck und Franzensfeste erstrecken sich die Baustellen des Brenner-Basistunnels. Bei diesem Mammutprojekt unter und über Tage kann der Tatra Phoenix seine herausragenden Geländeeigenschaften unter Beweis stellen.

Beißender Sprengstoffgeruch liegt in der Luft, im kalten Licht unzähliger Neonlampen leeren flache Muldenkipper dunkle Felsbrocken in einen gewaltigen Brecher, um danach wieder aus der hohen Kaverne in die Tunnelröhre zu verschwinden. Hoch oben auf dem Brecher, über Staub und Lärm, steht einsam ein Arbeiter und überwacht die surreale Szenerie. Durch dicke Rohrleitungen, sogenannte Lutten, wird permanent Frischluft in das verzweigte Tunnelsystem gepresst. Zwei gelbe Schilder an der Einfahrt vom Versorgungs-stollen zur Hauptröhre weisen den Weg zum Ziel, das aktuell für 2028 anvisiert wird: 25 Kilometer bis Innsbruck in die eine, 32 Kilometer bis Franzensfeste in die entgegen-gesetzte Richtung.

Tatra Phönix, Brennerbasistunnel, Koren Erdbau, FERNFAHRER 2/2020. Foto: Thomas Küppers
Beeindruckendes Schauspiel unter Tage: Im Licht unzähliger Neonlampen leeren flache Muldenkipper ihre Ladung in einen gewaltigen Brecher.

Knochenjob für Mensch und Material

Der Vortrieb erfolgt hier noch rein konventionell, das heißt: sprengen, beräumen, die Felsbrocken in den Brecher kippen und von dort zunächst per Lkw, dann via Förderband über einen rund vier Kilometer langen Versorgungsstollen ans Tageslicht transportieren. Beim Besuch unter Tage wird schnell klar: Der Tunnelbau ist nach wie vor ein Knochenjob für Mensch und Material. Wer sich hier bewährt, ist jeder Großbaustelle gewachsen. Umso erfreuter war die Tschann Nutzfahrzeuge GmbH aus Salzburg, als sich Koren Erdbau für 50-Tonnen-Kipper vom Typ Tatra Phoenix 8P6R46 entschied. Tschann vertreibt DAF und Tatra, Koren wiederum transportiert als Subunternehmer der Porr Umwelttechnik GmbH rund um die Uhr Gestein von der Tunnelbaustelle auf die nahe gelegene Deponie. Letztere befindet sich in einem Seitental von Wolf, einem Ortsteil von Steinach am Brenner. In den nächsten Jahren wird dieses Tal rund 140 Meter hoch mit Ausbruchmaterial aufgefüllt werden. Ein gewaltiges Vorhaben. Jeden Tag kommen per Förderband und Kipper zwischen 1.600 und 1.800 Festmeter Schiefergestein hinzu. Ein Teil davon soll für die Betonierung der beiden Hauptröhren und der Serviceröhre wiederverwendet werden, der Rest wird renaturiert, also bedeckt und bepflanzt. "Der Aushub von zwei Baulosen soll hier gelagert werden", erklärt Markus Pausch von Porr Umwelttechnik. "Es gibt aber noch weitere Deponien auf österreichischer Seite."

Ähnlich dürften es die italienischen Partner handhaben, die sich gemeinsam mit den Österreichischen Bundesbahnen in der Brenner Basistunnel SE zusammengeschlossen haben. "Am Anfang sind wir mit den Kippern mehrere Kilometer tief in den Berg gefahren", erzählt Pausch. Diese Aufgabe übernimmt jetzt das "Förderbandel", wie es der Österreicher liebevoll nennt. Über Tage befüllt es in unregelmäßigen Abständen eine Abraumhalde, so wie die Mineure unten eben vorankommen. Einige Meter weiter oben, entlang des steilen Anstiegs zur Deponie, haben die Koren-Mitarbeiter ihre Baucontainer aufgestellt und die Abraumhalde von dort aus stets im Blick.

Jetzt ist es wieder so weit: Fahrer Peter Bichler klettert in seinen Tatra, um sich neben dem Bagger zu platzieren. Heute steuert er sogar den "Präsident". Diese Sonderedition des Phoenix haben die Tschechen in Erinnerung an das erste Automobil aus Nesselsdorf, dem heutigen Koprivnice, aufgelegt. Es fuhr bereits 1897 unter der Typbezeichnung "Präsident". Aus der Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft entstand 1923 der Fahrzeughersteller Tatra. Im selben Jahr konstruierte dort der österreichische Autopionier Hans Ledwinka erstmals einen Pkw mit Zentralrohrrahmen. Dieses Rahmenkonzept kommt bis heute in Tatra-Lkw zum Einsatz und ermöglicht in Kombination mit den einzeln aufgehängten Halbachsen beeindruckende Verschränkungswinkel.

Phoenix übertrifft Knickgelenkkipper

Zusammen mit Luftfederung, automatisiertem ZF-Getriebe, DAF-Kabinen und Paccar-Motoren ist Tatra mit dem Phoenix ein respektabler Neustart im Nutzfahrzeugsegment gelungen. "Wir leben in zwei Wohnungen hier im Ort, arbeiten zehn Tage lang im Schichtbetrieb und haben dann fünf Tage frei", erklärt Peter, während ein Kettenbagger seinen Kipper belädt. Als der Baggerfahrer hupt, setzen sich die knapp 55 Tonnen kraftvoll in Bewegung. Im Automatikmodus arbeitet sich der 8x8-Kipper mit 10 km/h die Steigung ins Tal hinauf. Nur an der steilsten Stelle sperrt Peter die hinteren Achsdifferentiale, was im Phoenix während der Fahrt möglich ist. Sein Chef Stefan Koren, der am Steuer des nachfolgenden Kippers sitzt, bevorzugt stattdessen die manuelle Gangwahl. Nach einigen Höhenmetern erschließt sich der Blick auf die Deponie, die jetzt noch das "Padastertal" ist und irgendwann mit sieben Millionen Kubikmetern Material aufgefüllt sein wird.

Drei Vierachs- und zwei Dreiachskipper von Tatra besitzt Koren, außerdem zwei Knickgelenkkipper vom Typ Volvo A35G. "Dadurch hatten wir den direkten Vergleich", erklärt der Unternehmer aus Voitsberg in der Steiermark, der passenderweise Truck Trial als Hobby betreibt. Wie es die Bezeichnung des Volvo-Dumpers schon sagt, liegt die Nutzlast bei 35 Tonnen – also im selben Bereich wie beim Phoenix im Geländeeinsatz. "Anfangs, in der Dunkelstrecke, hat der Volvo eine Stunde für einen Umlauf gebraucht – der Tatra nur eine Dreiviertelstunde. Der Dieselverbrauch lag beim Volvo bei 400 Litern am Tag, der des Tatra bei nur 300 Litern." Sätze, die Robert Kerschl, bei Tschann Nutzfahrzeuge in Salzburg für die Marke Tatra verantwortlich, gerne hört. Unterstreichen sie doch auch die Pionierleistung von Tschann, die legendäre tschechische Marke nach einer wechselvollen Nachwendezeit auf dem österreichischen und bayerischen Nutzfahrzeugmarkt zu etablieren. "Für uns ist der Tatra-Einsatz hier ein tolles Referenzprojekt und ein Härtetest auf Europas größter Tiefbaustelle", sagt Kerschl.

Durch seine Einzelradaufhängung könne der Phoenix einfach schneller fahren als der Knickgelenkkipper, der nur übers Knickgelenk federe und dem Fahrer entsprechend weniger Komfort biete, führt Koren weiter aus. "Noch dazu kostet der Tatra gerade einmal halb so viel wie der Dumper!" – "Mit dem Knicker kippt man zwar schneller ab", ergänzt Fahrer Peter, "dafür steht der Tatra beim Kippen irrsinnig gut." Ein großer Vorteil gegenüber konventionellen Bau-Lkw mit Zwillingsbereifung seien die gewaltigen Single-Reifen des Phoenix, betont er mit Blick auf einen vorbeifahrenden Arocs-Betonmischer. "Da kann sich kein Stein einklemmen." Auch auf der Straße fahre sich der Phoenix gut, nur liege die Gewichtsgrenze dort eben bei 32 Tonnen. Derzeit werden die Fundamente für eine Verlängerung des Förderbands bis hoch ins Tal gegossen. "Das macht die Kipper aber nicht ganz überflüssig", beruhigt Porr-Mitarbeiter Markus Pausch. Der Phoenix kann sich also noch ein paar Jahre in den Tiroler Alpen beweisen.

Tatra Phoenix - 8P6R46 8x8

Technische Daten
Motor Paccar MX-13
Leistung 460 PS
Achlasten 2x 9 t, 2x 16 t
Gewichte leer 18 t, zzG 50 t
Getriebe ZF AS Tronic, 16 Gänge, automatisiert
Federung vorne Luft, hinten wahlweise Blatt oder Luft
Antrieb 8x8, Allrad vorne zuschaltbar, zweigängiges Verteilergetriebe, Außenplanetenachsen
Bereifung vorne 16.00 R 20, hinten 24 R 21

Der Brenner-Basistunnel

Der Brenner-Basistunnel (BBT) ist ein flach verlaufender Eisenbahntunnel zwischen Innsbruck (Tirol) und Franzensfeste (Südtirol). Mit der Einmündung in die bestehende Eisenbahnumfahrung Innsbruck wird der BBT 64 Kilometer lang und damit die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt. Für die beiden Hauptröhren, eine Serviceröhre und diverse Zugänge werden insgesamt gut 230 Kilometer Tunnelsystem in die Tiroler Alpen getrieben. Durch den Bau des Basistunnels sollen die Reise- und Transportmöglichkeiten mit der Bahn deutlich verbessert werden.

Tatra Phönix, Brennerbasistunnel, Koren Erdbau, FERNFAHRER 2/2020. Foto: Thomas Küppers
Brenner Basistunnel

Das Projekt ist Teil des europäi­schen Skandinavien-Mittelmeer-Kernnetzkorridors, an dem zwischen Helsinki und Valletta rund 110 Millionen Menschen leben. Die EU-Kommission fördert das Bauprojekt in einem Umfang von bis zu 50 Prozent. Mit der Projektumsetzung ist die Brenner Basistunnel SE beauftragt. Gesellschafter der europäischen Aktiengesellschaft sind zu gleichen Teilen die ÖBB Infrastruktur AG und die Tunnel Ferroviario del Brennero.

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