Schließen

trans aktuell-Symposium Hier ist die Zukunft

Foto: Thomas Küppers

trans aktuell-Symposium über KI: Anwendungen in der Praxis: Sortieren, Erfassen und Kommissionieren.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – diesen Satz hört man oft in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz (KI). Laut Raoul Wintjes, Leiter Internationaler Straßengüterverkehr und Digitalisierung beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV), sollen sich Spediteure nichtsdestotrotz auf die neuen Technologien einlassen – auch weil etliche Anwendungen für den Spediteur viel Nutzen stiften: als Effizienztreiber, zur Verbesserung der Qualität und für die Umsetzung von Prozessinnovationen oder neuen Geschäftsmodellen.

Vertrauen in die KI haben

Dafür brauche es, neben Investitionen, IT-Mitarbeitern und technischem und juristischem Verständnis, eben auch Vertrauen. Durch die KI ersetzt werden oder die Kontrolle abgeben? Allein das Handelsgesetzbuch sehe für Speditionen und Logistikdienstleister eine Menge Funktionen im Auftrag des Verladers vor, die nicht von KI erfüllt werden können, sagte Wintjes. Der Risiken sollte man sich dennoch bewusst sein, deswegen gibt es auch Richtlinien wie den AI- oder den Data Act oder die Datenschutzgrundverordnung.„KI ist gekommen, um zu bleiben“, resümierte der DSLV-Referent.

Wintjes nannte die Stichworte Augment, Assist, Automate (Ergänzung menschlicher Fähigkeiten, Unterstützung, Automatisierung), die aktuell den Schwerpunkt bei vielen KI-Projekten bilden.Aber es bedarf einer guten Vorbereitung, inklusive der Überlegung der Kosten-Nutzen-Betrachtung und einer richtigen Zielsetzung: „Nur weil man’s kann, muss man es nicht machen“, sagte Wintjes. Zum Start der KI-Erfahrungen reiche ein kleines Pilotprojekt, für das man sich das passende Tool und gegebenenfalls einen Partner aussuche. Danach stehen die Skalierung und Optimierung an, inklusive Evaluierung und gegebenenfalls Erweiterung in andere Geschäftsbereiche. Gefolgt von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung – so die ideale Roadmap für die ersten Schritte in Richtung KI.

KI bereitet auf hybride Spedition vor

Dann sind laut dem Experten die Unternehmen und die Brache auch „gut vorbereitet auf das, was sich schon am Horizont abzeichnet“. Das sind zum Beispiel autonome Fahrzeuge, die Verbindung von KI und Robotik, Computer Vision, digitale Vernetzung und Vorhersageanalysen. Aber auch die hybride Spedition, in der Maschinen und Menschen ganz selbstverständlich zusammenarbeiten.

Aus Schutthaufen Gold machen

Wie verschiedene Anwendungsfällen in der Praxis aussehen, zeigten die weiteren Vorträge, etwa zur Sortierung von mineralischen Abfällen. „Aus Schutthaufen Gold machen“ – das ist sprichwörtlich mit der KI-basierten Lösung von Optocycle aus dem schwäbischen Tübingen möglich, die Geschäftsführer Max Gerken vorstellte. Im Einsatz ist die Computer Vision-Lösung etwa bei dem Unternehmen Heinrich Feeß aus Kirchheim/Teck im Bereich Baustoffrecycling.

Das Problem für die Recycler und Entsorger ist laut Gerken immer wieder die Frage, was der voll beladene Lkw geladen hat – sortenreiner Betonabbruch, gemischter mineralischer Bauschutt oder eine noch wildere Mischung mit viel weißer Keramik? „Das Wissen über die Zusammensetzung ist für die Unternehmen wichtig, denn je nach Parameter entsteht die Frage, wie hoch der Annahmepreis ist und wohin das Material zur Weiterverarbeitung geht“, berichtete Gerken – verbunden etwa mit weiteren Anfahrten oder Touren.

Foto: Thomas Küppers
Symsposium: Immer Zeit nach Nachfragen aus dem Publikum.

Maschinen lernen mit neuronalen Netzen

Im Rahmen der Optocycle-Lösung fährt der Lkw durch ein Durchfahrtportal. Kameras erstellen dann ein dreidimensionales Bild der Ladefläche. KI-Algorithmen verarbeiten die Bilddaten und können so eine Materialbewertung vornehmen. Die steht anschließend auch für die Kunden, über eine Web-App oder eine API-Schnittstelle, zur Verfügung.„Der Einsatz von Hardware und Software macht die Ladungen automatisch sichtbar. Über den Einsatz von neuronalen Netzen bieten sich zudem enorme weitere Möglichkeiten, da diese ihre Parameter nutzen und immer weiter lernen“, sagte Gerken.

Die Betrachtung und Bewertung ist daher inzwischen nicht nur auf der Waage, sondern auch während des Kippvorgangs vom Lkw oder beim Abladevorgang auf das Förderband des Recyclingunternehmens möglich. Dies gilt nicht nur für mineralische Abfälle, sondern auch für andere Stoffe. Der Vorteil für Entsorger: Die automatische Betrachtung und Analyse erfolge zu sehr geringen Prozesskosten, die Preisgestaltung richtet sich nach dem, was tatsächlich auf dem Ladungsträger ist. Und die Verwertung wird durch die genaue Bestimmung effektiver.

„Kalle“ erfasst Kundenaufträge

KI hilft aber auch in anderen Bereichen – beispielsweise in der Auftragserfassung. Hier gibt es oft ein Schnittstellenproblem, wie Artem Fadin, Geschäftsführer des Anbieters F-One Future of Work aus Frankfurt, beschrieb: Richtige Schnittstellen gibt es eventuell nur mit Großkunden, ein Großteil der Aufträge kommt weiter per PDF, Excel, als E-Mail-Text oder sogar über Telefonverabredungen an. In der Logistik werden die Aufträge durch Disponenten und Sachbearbeiter etwa über eine Speditionssoftware wie Winsped in das System eingegeben.

Wie hier eine KI-basierte Auftragserfassung durch das Produkt KI-Freelancer unterstützen kann, zeigte Fadin am Beispiel der Sievert Logistik, der Transportdienstleister-Tochter des Baustoffkonzerns Sievert. Das Unternehmen hat deutschlandweit zehn Standorte und disponiert rund 600 Fahrzeuge.Im Falle von Sievert bekommt die F-One-Lösung, im Unternehmen „Kalle“ genannt, die Aufträge, die nicht über die vorhandenen Schnittstellen ankommen, vom Disponenten übertragen.

Deep-Learning-Algorithmus erstellt vom Auftrag einen strukturierten Datensatz

Erste KI-gestützte Aufgabe ist dann die richtige Kundenzuordnung. Kundendaten werde aus dem neuronalem Gedächtnis ermittelt und über ein visuelles und textliches Format zugeordnet. Der nächste Schritt ist die Datenextraktion. Mittels eines Large Language Model (LLM), einem Deep-Learning-Algorithmus, wird ein strukturierter Datensatz erstellt.„Eine Herausforderung, denn nicht alle Angaben stehen im Auftrag, etwa bei festen Aufträgen“, sagte Fadin. Wenn Angaben fehlen – etwa zur Ladestelle, zur Artikelnummer oder zum Frachtführer –, ergänze das System dies aus den historischen Daten vergangener Aufträge um die richtigen Parameter. Auch hier kommt wieder ein LLM zum Einsatz, um die großen Datensätze zu bewältigen.

Dann geht es in den Bereich Regeln: Kundennummer, Konditionen, Kommentare, Niederlassungen und Abrechnung. Der letzter Schritt ist die KI-gestützte Erfassung in Winsped. Im Anschluss ergeht an den Disponenten beziehungsweise das Sammelpostfach eine Mail über den angelegten Auftrag.

Linda Overberg, Service Partnerin Projektmanagement Logistik bei Sievert Logistik, berichtete aus Nutzersicht von der Zusammenarbeit mit „Kalle“: „Insbesondere wenn das Kundenauftragsformat nicht sehr komplex ist, ist Kalle so schnell wie ein Mensch, und in wenigen Minuten ist ein Kunde neu aufgeschaltet“, sagte sie. Das System sei einfach zu bedienen, flexible Anpassungen sind möglich. Wenn eine Auftrag nicht erfasst werden kann, gebe „Kalle“ entsprechend Rückmeldung. Schon allein deshalb sollte laut Overberg eine Nachkontrolle nicht entfallen.

KI-Tool entlastet die Mitarbeiter

Die Disposition wird also nicht ersetzt – Overberg und ihr Kollegen nutzen „Kalle“ als unterstützendes und entlastendes Tool. Bei komplexen Aufträge habe aber immer noch der Mensch die Oberhand, berichtet Overberg, aus diesem Grund übernehme „Kalle“ aktuell nur rund 80 Prozent der Aufträge. Ein weiteres Hemmnis sind Volumenengpässe in Stoßzeiten, mit nur drei Maschinen in Arbeit ergeben sich Nachteile bei der tatsächlichen Erfassungszeit.

Der Erkenntnisgewinn für den Kunden Sievert und für den Dienstleister F-One Future of Work ist aber laut den beiden Referenten beachtlich, und führt dazu, dass bereits weitere Ausbaustufen geplant sind. Etwa, die Aufträge auch direkt mit der Vertourung zu verbinden – hauptsächlich Siloaufträge, weil da ein Siloauftrag einer Tour entspreche – sowie die DMS-Ablage. Geplant sind des Weiteren eine schnellere Erfassungszeit durch „Kalle“, Auftragsänderungen und Ablieferhinweise soll „Kalle“ künftig erkennen.Irgendwann, so Overberg, sei natürlich geplant, alle Kunden über Schnittstellen anzubinden; bis dahin sei „Kalle“ eine sehr gute Übergangslösung: „Er schafft für unsere Mitarbeiter Freiräume, so dass diese sich mehr um den Kundenservice kümmern können“.

Roboterlösung für die Kommissionierung

Arbeit abnehmen können auch Roboterlösungen – Spezialist dafür ist etwa das Unternehmen ABB aus dem hessischen Friedberg, Lars Simora, Operations Manager der Division Robotics, zeigte, welche KI-gestützten Lösungen es neben den typischen Anwendungsfällen in der Industrie – Analysesoftware, Energiemanagement, Customer Chatbot – gibt. Für die Logistik sind Lösungen zur Kommissionierung, für das selbstständige Heben und Navigieren von Paletten (so genannte Autonomous Mobile Robotics, AMR) und autonome Fahrzeuge spannend.

Technische Herasforderungen für den Roboter

Dabei ist die Entwicklung kein Spaziergang: „Vieles, was für den Menschen kein Problem ist, ist eine technische Herausforderung für den Roboter“, berichtete der Experte – die Handhabung von Teilen etwa müssten Roboter im Unterschied zum Menschen erst lernen, ebenso die Wahrnehmung, also das Erkennen des richtigen Produktes. Bei Fahrzeugen komme es darauf, das Navigieren in dynamischen Räumen zu erlernen. Die KI muss außerdem schnell eine so genannte VSLAM-Karte (Visual Simultaneous Localization and Mapping) erstellen und Objekte für die intelligente Navigation erkennen.Auch hier werden neuronale Netze genutzt. Die KI-Lösung lernt beispielsweise, die Produkte wie Päckchen, Stücke, Beutel zu unterscheiden und zu orten und sie bringt sich in mehreren Versuchen den besten Greifpunkt bei.

Mit einer entsprechend trainierten Roboterlösung sind so laut Simora 1.400 Picks pro Stunde und 99,5 Prozent Trefferquote möglich, wobei der Roboter Einzelteile bis drei Kilogramm picken kann. Flott arbeitet auch ein automatischer Depallettierer, der 750 Picks pro Stunde und bis zu 30 Kilogramm schwere Pakete von der Palette schafft. Und bei der entsprechenden mobilen Roboterlösung von ABB unter dem Namen AMR VSLAM kann das Gerät über VSLAM und eine KI-basierte 3D-Wahrnehmungsfähigkeit zwischen Menschen und Maschinen und anderen Hindernisse unterscheiden und damit sicher mobil sein.Automatisierte Transportplanung.

KI bezieht bei Transportplanung alle Faktoren mit ein

Ein weiterer Anwendungsfall für KI in der Logistik ist die Transportplanung. „Oft genug wird hier noch viel mit Excel gearbeitet, es ist weniger ein Planen als ein Jonglieren von Zahlen“, sagte Dr. Stefan Kremsner, CEO des Grazer Anbieters S2 data & algorithms. Das Problem: das Silodenken von Verlader, Logistikdienstleister und Empfänger, sowie in den einzelnen Unternehmensbereichen. „Jeder hat andere Zielgrößen in der Lieferkette, das hat Einfluss auf die tägliche Planung und wie der Lkw letztlich geladen wird“.Laut Kremsner brauche es eine „holistische Planung“, die die Routen-, Laderaum- und Tarifoptimierung sowie beispielsweise die Punkte Distribution und Beschaffung sowie das Matchen von Vollgut und Leergut enthalte.

Diese Faktoren können die KI-Algorithmen beachten, unter Einbeziehung der Daten aus TMS, VMS und ERP, und bis zur Ausführung des Transports und der Übergabe an den Empfänger.Damit auch die Mitarbeiter mitziehen, muss laut dem IT-Experten der Mehrwert durch die Anwendung klar sein – etwa, den Kostenfaktor zu heben oder Transporte und somit CO2 einzusparen. Was garantiert den Erfolg eines Optimierungsprojektes? Daten und Fakten müssen in den Fokus gestellt und flexible sowie adaptive Lösungen geschaffen werden – „außerdem immer Quick Wins sammeln und nutzen, und wenn es ein Interface zu Winsped ist“.

Unsere Experten
Jan Bergrath Jan Bergrath Journalist
Carsten Nallinger Carsten Nallinger Lkw-Navigation
Aktuelle Fragen Arbeitszeit: Anfahrt zum Stellplatz Ist die Anfahrt zum Lkw-Stellplatz Arbeitszeit? Digitacho (Nachrüstpflicht) Gibt es eine Digitaltacho-Nachrüstpflicht für alte Lkw? Ziffer 95 und Überführungsfahrten Brauche ich die Ziffer 95 für Überführungsfahrten?
Betriebsstoffliste 2023
Mehr als 2.500 Produkteinträge

Immer auf dem neuesten Stand: Die DEKRA Betriebsstoffliste 2023

Kostenloser Newsletter
eurotransport Newslettertitel Jetzt auswählen und profitieren

Maßgeschneidert: Die neuen Themen-Newsletter für Transportprofis.

Who is Who
Who is Who Nutzfahrzeuge 2019 WHO IS WHO Nutzfahrzeuge

Alle Hersteller, Zulieferer und Dienstleister für Nutzfahrzeugflotten.

eurotransport.de Shop
Web Shop Content Teaser Der Shop für die, die es bringen.

Zeitschriften, Bücher, Lkw-Modelle, Merchandising und mehr.