Vier Jubiläen bei Neoplan Die Seele des Busses

Doppel Vergleich Neoplan Auwärter Omnibus Foto: Thorsten Wagner 9 Bilder

Gleich vier Jubiläen gab es Ende August in Pilsting zu begehen. 35 Jahre Megaliner, 50 Jahre Neoplan Doppeldecker, 75 Jahre Konrad Auwärter und 80 Jahre Gottlob Auwärter GmbH & Co. KG. Wenn das kein XXL-Busereignis ist!

Was sollen denn die Leut’ von uns denken, wenn wir jetzt kein Angebot machen!" Diesen Ausdruck schwäbisch-pietistischen Geschäftssinns schleuderte an einem grauen Apriltag des Jahres 1973 der Busbauer Gottlob Auwärter seinen beiden Söhnen entgegen. "Und dann war der Betrieb übernommen," erzählt der jüngere der beiden Söhne, Konrad Auwärter, bei der feierlichen Enthüllung der Gedenkbüste des Vaters vor dem Pilstinger Rathaus. Die Geschichte des Werkes am Ortseingang des Marktfleckens im Niederbayerischen begann 1946 und sollte eine wechselvolle werden: 1951 Übergang an die Firma Glas, 1967 kaufte BMW sich ein, ab 1969 wurden Eicher Traktoren gebaut, wenn auch nicht sehr lange. Den Rathausplatz ziert daher seit Ostern dieses Jahres bereits eine Büste von Hans Glas samt einem liebevoll gestalteten Goggomobil, Meilenstein der Wirtschaftswunderjahre.

Ein ebenso wichtiger Meilenstein war der ND 6 als ein Vertreter des Typs Hamburg, der erste in Pilsting gebaute Bus. Er basierte auf der Diplomarbeit von Albrecht Auwärter, dem älteren Bruder (lastauto omnibus 6/2014), der 1994 früh verstarb.

Auwärter wohnt noch heute neben dem Werk

Eigentlich nur für ein Jahr wollte der jüngere Bruder das neue "Werk 2" in Niederbayern anleiten, länger könne man das wohl nicht durchhalten. Es blieb beim Vorsatz. Auwärter wohnt noch heute neben dem Werk, das mit Viseon wieder mal einen kurzlebigen Besitzer überdauert hat, nachdem sich MAN 2009 aus dem Projekt zurückgezogen hat. 2014 endeten dann rund 45 Jahre Busbau in Pilsting. "Hier gab es immer schon gutes Handwerk. So haben wir mit dem Telebus in den 80er Jahren den Niederflurbus erfunden, und das hat mehr mit Können als mit Wollen zu tun", referiert Auwärter stolz.

Einen der Telebusse hat er zur rollenden Kommandozentrale ausgebaut, die am Nachmittag die Doppeldecker-Prozession auf geschätzten 60 Achsen ins Auwärter-Museum nach Landau anführt.Der Tag steht ganz im Zeichen des Neoplan-Doppeldeckers und seiner Spielarten, der 2015 den 50. Jahrestag begeht. "Nach dem Telebus kamen Skyliner, Megaliner und Jumbocruiser. Das waren seinerzeit die größten Busse der Welt und sie wurden in Pilsting gebaut und sonst nirgendwo," erzählt Auwärter.Zu sehen sind während der Ausfahrt exponierte Vertreter aller jener Großraumbusse, deren Zeit spätestens seit 2004 vorüber ist. Neben dem letzten für einen deutschen Kunden gebauten Megaliner Baujahr 2000 sowie dem letzten Mega-Shuttle als Stadtbus ist auch der einzige "Longliner" als Schubgelenkbus vor Ort, wenn auch im Inneren in unausgebautem Zustand. Er soll von der Schrotthalde gerettet worden sein.

Marktanteile in Deutschland rangieren bei rund vier Prozent

Der letzte Neoplan Geschäftsführer Bob Lee staunt nicht schlecht "über die Zwischenstufe zum Megaliner" und lässt sich eine Begehung nicht nehmen. Das Fahrzeug erwies sich laut Lee damals jedoch als "nicht unkritisch im Hochgeschwindigkeitsbereich". Die glorreichen Zeiten gingen zu Ende, Neoplan wurde nicht nur fahrzeugtechnisch auf Normalmaß zurechtgestutzt, die Marktanteile in Deutschland rangieren aktuell bei rund vier Prozent, mit einem erfreulichen Aufwärtstrend im Jahr 2015. Aus dem Mund von Konrad Auwärter hört sich das so an: "Auch wenn MAN die Firma 2001 gekauft hat, Neoplan lebt weiter!"

Jeder Bus hat eine Seele

Nebenbei fasst Auwärter so eben die ehemaligen polnischen Neoplan-Vertreter der heutigen Solaris Bus, die schon seit 1995 selbstständig sind, sowie die China-Modelle als Neoplan-Veteranen zusammen. Heute dreht sich eben einfach alles um die Marke, die Pilsting und Stuttgart zu einem weltweiten Ruf verholfen hat. Wie lange will Auwärter noch das rastlose Leben zwischen Oldtimern, Vereinstagungen und ehemaligen Kunden führen? "So lange es geht. Ich habe den Busschein auf jeden Fall einmal um fünf Jahre verlängert. Mit 70 hatte ich geplant, ihn nach fünf Jahren abzugeben, und wahrscheinlich werde ich das gleiche auch wieder zum 80. Geburtstag sagen", lacht er.

Was war denn das Geheimnis des Neoplan-Erfolges? Auwärter erläutert melancholisch: "Busleidenschaft auf beiden Seiten, also auch beim Kunden, der von uns immer als Partner wahrgenommen wurde." Jeder Bus habe eine Seele, und wenn man diese zusammen im Kunden-Lieferanten-Verhältnis pflege, dann sei das eine runde Sache. Den Wahrheitsgehalt dieser Worte erkennt man auch in der E-Mail des 21-jährigen Patrick Lenz aus Berlin, Neoplan-Fan und lastauto omnibus-Leser seit Kindesbeinen: "Kennst du das – plötzlich sieht man einem Neoplan und weiß, dass es einfach nur ein Neoplan ist, der das Herz höher schlagen lässt?" Dieses Gefühl ließ sich Ende August in Pilsting einmal mehr deutlich erleben.

Konrad Auwärter wird 75

Kein Anderer ist so eng mit dem ehemaligen Neoplan Werk 2 in Pilsting verbunden wie Konrad Auwärter, 1940 als jüngerer Bruder von Albrecht Auwärter, Neoplan-Chef bis 1994, geboren. Und auch dem Thema Doppeldecker ist er wie kein Anderer verpflichtet. Schon seine Diplomarbeit an der Hamburger Wagenbauschule, wo er in den 1960ern studierte, nahm sich der Entwicklung eines besonders leichten Doppeldecker, den Do-Bus, an. 1973 übernahm er die Leitung des Werkes Pilsting – bis heute lebt er in dem niederbayerischen Marktflecken, der ihm 2000 die Ehrenbürgerwürde verliehen hat. Im Jahr 2000 bekam er für sein strategisches Engagement für alternative und umweltfreundliche Antriebe zudem die Ehrendoktorwürde der TU München verliehen. Außerdem kümmert er sich im Neoplan-Verwaltungsrat um Projekte wie Ghana, USA, China und die neuen Bundesländer. Seit dem Verkauf von Gottlob Auwärter GmbH und Co. KG an MAN Nutzfahrzeuge AG im Jahr 2000 kümmert sich Auwärter in aufopferungsvoll um das Erbe des eigenen Unternehmens und der deutschen Busindustrie als Ganzes. Im historischen Omnibusverein sind rund 600 Mitglieder mit rund 1.200 Oldtimern organisiert, das vierte europäische Treffen fand im April 2014 in Sinsheim statt. Zusammen mit seiner Frau Christa engagiert sich der Busliebhaber zudem stark in der Lokalpolitik und im VDA.

Non-Plus Ultra

Vierachsige Solobusse sind heute eine Seltenheit in Deutschland. Wir haben die einmalige Chance genutzt und sind zwei davon gefahren. In Pilsting fährt eine einmalige Mischung aus doppelstöckigen und vierachsigen Neoplan-Bussen auf. "So viele XXL-Neoplan auf einem Haufen – einmalig!", schwärmt Andreas Schneider, der wohl das umfangreichste Neoplan-Archiv weltweit führt. Grund genug, uns die letzten für Deutschland gebauten Megaliner und Megashuttle vorzunehmen.

Stammfahrer Patrick Wesolek räumt mit sichtlichem Unbehagen den Platz am Steuer des vierachsigen Megashuttles, der als Schulbus jahrelang im Bayerischen von Unternehmer Lobmeyer eingesetzt wurde und heute rund 200.000 Kilometer auf der Uhr hat. Erst vor wenigen Monaten hat der Unternehmer Hans-Jürgen Ach von Tempelhofer Reisen den Großraumbus Baujahr 1996 mit einer Kapazität von rund 120 Personen erworben und aufwendig instandgesetzt. Der Stadtbus, der auf dem 50. UITP Kongress 1993 in Sydney ausgestellt wurde, ist mit MAN D0826 und einem halbautomatischen ZF-AVS-Getriebe ausgestattet. Es gab sogar Versionen mit drei Treppen. Das typische, geschwungene Armaturenbrett der 90er Jahre stammt aus dem Neoplan-Baukasten und ist identisch auch im Megaliner der Firma Nies aus Selm verbaut, den wir zum Vergleich ebenfalls bewegen.

Imagegewinn durch die Seltenheit der Busse

Die Seltenheit und der Imagegewinn für das eigene Unternehmen waren eine wichtige Motivation, die auch bei Juniorchef Dennis Nies zu verspüren ist. Lange hat er nach einem Megaliner gesucht. Sein Wagen mit OM 442 Euro-2-Maschine und 523 PS ist mit einem typischen Doppel-H-Achtgang-Schaltgetriebe ausgerüstet. Die kurze Ausfahrt mit beiden Bussen beeindruckt. Gerade in Kreisverkehren sind die 15 Meter langen und bis zu 32 Tonnen schweren Gefährte einfacher zu handhaben als ein moderner Dreiachser gleicher Länge. Kein Wunder, alle Achsen sind gelenkt. Geradeauslauf und Fahrverhalten erinnern schon mehr an ein Schienenfahrzeug, so stabil und stoisch ziehen die Dinos ihre Runden und ernten erstaunte Blicke der Passanten.

Der Doppeldecker ist die Krone des Busbaus

Welch ein Anblick, welche geballte Busfaszination! Selten tummelten sich im Marktflecken Pilsting so viele übergroße Neoplan-Busse und ehemalige Mitarbeiter zu einer Veranstaltung wie zu diesem Vierfach-Jubiläum am 22. August 2015. Alleine die Aufreihung der rund 20, zumeist doppelstöckigen und oft vierachsigen Busse aus Stuttgarter oder Pilstinger Produktion in der Hauptstraße sorgte für rund 1.000 staunende Besucher und wehmütige Neoplaner-Herzen. So wurde auch zünftig gefeiert und so manche Story aus alten Zeiten aufgewärmt. Nach dem vorzeitigen Auslaufen der Design-Ikone Starliner 2, der der finanzielle Erfolg versagt blieb, liegt es nun vor allem beim neuen Doppeldecker Skyliner, die Zukunft der 80 Jahre alten Premiummarke als verkannte 13. Marke des Volkswagen-Konzerns mit der schillernden Vergangenheit zu verbinden. Das Zeug zum echten Neoplan-Highlight hat er wohl, alleine das
Vertrauen der Kunden in die Marke muss jetzt wiedergewonnen werden.

Interview mit Michael Streicher

Michael Streicher verantwortet seit dem Jahr 2000 das Neoplan-Design bei MAN Truck and Bus.

Wie unterscheidet sich das heutige Neoplan-Design von dem des zwanzigsten Jahrhunderts?

Streicher: Neoplan war schon jeher eine Marke, die für Innovation steht. Dieses Leitmotiv wurde und wird über das markante und unverwechselbare Design zum Ausdruck gebracht. Die Arbeitsweisen und die formalen Möglichkeiten haben sich im Laufe der Zeit zwar verändert, die Philosophie, im Design einen Schritt voraus zu sein, ist jedoch geblieben.  Heute geht man mit der Gestaltung professioneller um als noch vor Jahren. In seiner grundlegenden Ausrichtung hat sich am Neoplan-Design aber nichts geändert: Wir streben früher wie heute danach, die Besten zu sein.

Worin besteht für Sie die DNA des Neoplan- Designs, an der es weiterhin festzuhalten gilt, und gibt es Möglichkeiten der evolutionären Entwicklung?

Streicher: Die Haupteigenschaft des Neoplan-Designs ist die positive Eigenständigkeit. Ein Neoplan-Bus beindruckt durch seine Präsenz und seine Erscheinung. Er soll mehr sein als ein Ding. Natürlich gibt es Merkmale, die bei Neoplan einzigartig sind, wie die geteilte Frontscheibe oder auch die dynamischen Proportionen. Diese Merkmale sind allerdings kein Selbstzweck, sondern unterstützen unter anderem eine gute aerodynamische Performance. Funktionalität ist bei Neoplan selbstverständlich die Grundlage für eine gute Gestaltung. Darüber hinaus soll ein Neoplan Bus innovativer als seine Mitbewerber sein.

Wie sehr ist Fahrzeug-Design auch emotional mit Menschen verbunden – also denen, die es entwerfen, bauen oder kaufen?

Streicher: Eine der Haupteigenschaften des Fahrzeug-Designs ist es, ein emotionale Verbindung zum Produkt zu schaffen. Für alle am Entstehungsprozess Beteiligten, aber auch bei allen Betrachtern und Benutzern soll diese Verbundenheit spürbar sein. Als Designer hat man selbstverständlich einen besonderen Bezug zu seinen Entwürfen. So sind mir die Neoplan-Busse fast wie eigene Kinder ans Herz gewachsen und ich freue mich, wenn andere Menschen diese Leidenschaft teilen. Daher gelingt es einem gutem Fahrzeugdesign über die pure Funktion hinaus zu wachsen. Gutes Design schafft ein Produkt mit emotionalem Mehrwert.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Lao 10 2015 Titel
lastauto omnibus 11 / 2015
12. Oktober 2015
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