Streiken müsste man. Mal alles lahmlegen. In Deutschland ist dies aber unter rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet nicht so einfach.
Alles steht, nichts geht mehr. Die Autobahnen sind dicht, Tankstellen haben keinen Kraftstoff mehr, Supermarktregale sind leer gefegt, überall fehlt der Nachschub – dann werden Gesellschaft und Politik schon merken, was sie am Transportgewerbe eigentlich haben. Die Lkw-Fahrer in Italien machen vor, wie es geht. Tage- oder gar wochenlang bewegte sich nichts mehr auf diversen italienischen Autobahnen. Die Kollegen streikten gegen hohe Treibstoffkosten und Sparmaßnahmen, die die Regierung in Rom verhängte, sowie die Erhöhung der Mautgebühren.
Auch Lothar* würde gegen seinen Chef und dagegen, wie er mit seinen Fahrern umspringt, in den Arbeitskampf treten. Lothar reicht’s nämlich: Ständig ist er unterwegs von früh bis spät, unter der Woche und am Wochenende. Seine Ware liefert er immer pünktlich ab. Auf ihn ist Verlass. Anders als auf seinen Chef. Der verspricht schon seit ewigen Zeiten, dass es mehr Lohn, mehr Urlaub und bessere Arbeitsbedingungen gibt. Nur hält er diese Versprechen nicht ein.
Es gilt die Koalitions- und Vereinsfreiheit in Deutschland
Lothars Kollegen sehen das genauso, deshalb beschließen sie gemeinsam zu streiken. Doch dürfen sie das – einfach so? Dürfen: ja. Einfach so: nein. Ein Streikgesetz gibt es in Deutschland nicht. Das Recht auf Streik ist aber grundrechtlich geschützt und zwar in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG). Dort steht geschrieben: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Absätze 2 und 3, Artikel 87a Absatz 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden." Damit schützt das Grundgesetz das Recht eines jeden auf Koalitions- und Vereinsfreiheit. Hier ist zum Beispiel auch das Eintreten in eine Gewerkschaft gemeint. Der Chef kann einem das nicht verbieten oder einen dafür "bestrafen" oder gar entlassen.
Wilde Streiks sind nicht rechtmäßig
Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass der Streik ein rechtmäßiges Mittel zur Durchsetzung der Tarifordnung der Arbeitnehmer ist.
Ein rechtmäßiger Streik ist daher:
- Gewerkschaftlich organisiert (!)
- eine gemeinsame planmäßige Niederlegung der Arbeit
- ein Mittel zur Durchsetzung tarifvertraglich geregelter Ziele
Im arbeitsrechtlichen Sinne nicht rechtmäßig sind
- politische Streiks, sogenannte "wilde Streiks"
- Streiks zur Regelung individualrechtlicher Fragen
Außerdem schließlich ist beim Streik immer auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Das heißt: Streik grundsätzlich erst nach Scheitern der Verhandlungen und Schlichtung, ausgenommen sind Warnstreiks. Lebenswichtige Funktionen der Daseinsvorsorge müssen aufrechterhalten bleiben, so zum Beispiel die Notversorgung in Krankenhäusern, wenn Ärzte oder Pflegepersonal die Arbeit niederlegen. Wer streikt, verstößt objektiv gegen seine in Paragraf 611 BGB (Bundesgesetzbuch) festgeschriebene Verpflichtung zur Erbringung der arbeitsvertraglich vereinbarten Dienstleistung.
Wer streikt hat keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung
Es gilt der Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn". Daher hat der streikende Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung während der Arbeitsniederlegung. Rein rechtlich stellt diese Vertragsverletzung in Form der Arbeitsverweigerung einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.
Das wiederum würde Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer begründen. Da der rechtmäßige Streik jedoch vom Grundrecht der Koalitions- und Vereinsfreiheit geschützt ist, führt eine Interessenabwägung zwischen dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und dem Recht des Arbeitnehmers auf Koalitionsfreiheit dazu, dass keine Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers bei einem rechtmäßigen Streik bestehen. Und die Kollegen kündigen? Das kann der der Arbeitgeber nur dann, wenn der Streik nicht der Erreichung tarifmäßiger Ziele dient, so etwa grundsätzlich beim politischen Streik oder beim nicht gewerkschaftlich organisierten Streik. Letztendlich bedürfen die arbeitsrechtlichen Folgen auch eines unrechtmäßigen Streikes der gerichtlichen Abwägung im Einzelfall.